
Die Arbeitshose von Thomas Bernhard

Ob skurril, berührend, bedeutend oder einfach kurios – Im Museum erzählt die Geschichten hinter Ausstellungsstücken aus Museen in ganz Österreich und darüber hinaus. Wir sprechen mit Kurator:innen, Forscher:innen, Sammler:innen – und manchmal direkt mit den Objekten selbst.
Mal geht es um Arbeitshosen, Bidets, Orakelfragen oder Haifischzähne. Mal um große Namen und kunsthistorische Meisterwerke. Dabei sind unsere Formate sind so vielfältig wie die Museen selbst:
🎧 Objekte – kurze Episoden mit einem klaren Fokus auf ein einzelnes Ausstellungsstück
🎧 Im Museum mit… – persönliche Rundgänge mit spannenden Menschen durch ein Museum
🎧 Reportagen & Features – tiefere Einblicke in Ausstellungen, Themenwochen und Institutionen
Im Museum bringt Kunst, Kultur und Geschichte dorthin, wo du gerade bist – auf dem Sofa, in der U-Bahn oder beim Spazierengehen.
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Wir befinden uns im Literaturmuseum in Wien, und liegt ein Stück Stoff, das einmal Teil von Thomas Bernhards Arbeitshose war. Ein simpler Stofffetzen, dessen Geschichte wohl nur in Österreich entstehen konnte – irgendwo zwischen Provinzposse und Weltliteratur. Warum? Das erzählt uns Bernhard Fetz, der Direktor des Literaturmuseums und des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek.
In 1972 in einem Forst bei Gmunden ereignete sich ein Unfall. Thomas Bernhard, der große Pessimist und Dichter, schwang eine Motorsäge – eine unheilvolle Kombination, wie sich herausstellen sollte. Während er versuchte, die Bäume rund um sein Anwesen auszudünnen, schnellt ein junger Baum zurück. Glücklicherweise endet die Sache glimpflich, zumindest, was die körperlichen Schäden betrifft.
Die Arbeitskleidung übersteht den Vorfall jedoch nicht ganz so gut und erhält einen ikonischen Riss – nun markiert und konserviert als Relikt in Österreichs Literaturmuseum.
Denn für Thomas Bernhard selbst fand der Zwischenfall eine neue Form in der „Jagdgesellschaft“, einem Stück von 1976, das voller subtiler Hinweise auf die „kaputte“ Welt ist – und in dem die Versehrtheit als große Metapher für das Menschsein steht. Die Figur eines Generals, in dessen Forst ein ähnlicher Unfall geschieht, kämpft gegen das Aussterben des Waldes, bedroht vom Borkenkäfer, vielleicht auch gegen die Absurdität menschlicher Eitelkeit. Der General, der am Ende des Stückes Selbstmord begeht, ist eine Verkörperung jener existenziellen Zerrissenheit, die Bernhard bis in die Knochen spürte.

Vielleicht steckt in der ganzen Geschichte eine moralische Lehre – doch Bernhard wäre Bernhard, wenn er uns genau die nicht liefern würde. Stattdessen gibt es diesen schönen Kommentar im Stück: „Intellektuelle sollten es lassen, mit Motorsägen im Wald herumzuhantieren.“ Ein Bernhardscher Nachhall: Warum nach außen drängen, wenn das Scheitern ohnehin vorprogrammiert ist? So wird der Forstunfall zu einem „Unfall im Geiste“, einer von Bernhards melancholischen Erinnerungen an das ständige menschliche Versagen.